MdB-Otten

6. Rede (19. April 2018): Berichte 2016/17 des Wehrbeauftragten

[su_youtube url=”https://www.youtube.com/watch?v=I6icdeK1rQE”] Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Franz Josef Jung, Karl Theodor zu Guttenberg, Thomas de Maizière: Die Rückschau auf die Verteidigungsminister der Ära Merkel weckt Assoziationen von Inkompetenz, Verantwortungslosigkeit und Aktionismus. Die heutige Amtsinhaberin setzt diese Tradition konsequent fort; denn die gleichen Merkmale prägen auch heute den Führungsstil im Verteidigungsministerium. Sogenannte Trendwenden in verschiedenen Bereichen sollen plötzlich dafür sorgen, dass die über die Jahre hinweg kaputtgesparte Bundeswehr ihrem grundgesetzlichen Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung wieder gerecht wird. Es muss endlich damit aufgehört werden, die Folgen der langjährigen Versäumnisse zu verharmlosen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Steht das im Jahresbericht des Wehrbeauftragten oder wo?) Es gibt zu vieles, das dringend angesprochen werden muss. Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt zwar einige Probleme auf, ist aber in derselben Praxisferne gefangen wie die Bundesregierung. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das ist doch Quatsch!) In keinem anderen Bereich wird die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bundeswehr so deutlich wie bei der sogenannten Trendwende Material. Dies geht aus dem Bericht über die Hauptwaffensysteme nur allzu deutlich hervor, wie zum Beispiel der Zustand der U-Boote, von denen kein einziges einsatzbereit ist. (Dr. Marcus Faber [FDP]: Doch, jetzt wieder eines!) Erschreckend ist dabei nicht nur der beklagenswerte Zustand des Materials an sich, sondern auch der von Schönfärberei geprägte Stil des Berichts. Dort heißt es zum Beispiel, die materielle Einsatzbereitschaft habe sich verstetigt. – Auf gut Deutsch: Gar nichts ist besser geworden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha!) Vieles hat sich hingegen verschlechtert. Unzureichende Instandhaltung, Materialmängel und Überbelastung durch verschiedene Auslandseinsätze haben zu Fähigkeitsverlusten im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung geführt. „Train as you fight“ als Devise hat sich in diesem Zusammenhang als Wunschdenken erwiesen. Die sogenannte Trendwende Personal macht sich im Alltag der Soldaten kaum bemerkbar. Vor dem Hintergrund der steigenden Anzahl von Auslandseinsätzen und den daraus resultierenden Belastungen wird der dringende Bedarf der Truppe zu wenig berücksichtigt. Eine Lösung scheint in der Ausbringung von neuen, oftmals hochrangigen Dienstposten zu liegen – natürlich auch im Ministerium selbst –, führte aber bisher nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Personalsituation. Strategisch betrachtet sollten die geplanten Trendwenden einander komplementieren. Ob allerdings mit dem administrativen Wasserkopf, der aus der Trendwende Personal resultiert, die erhoffte Effizienzsteigerung im Bereich des Materials erreicht werden kann, dürfte mehr als fraglich sein. Die Agenda Attraktivität sollte den Soldatenberuf wettbewerbsfähig gegenüber zivilen Arbeitgebern machen. Kitas am Standort, eine am zivilen Bereich angelehnte Soldatenarbeitszeitverordnung oder aktuell Schwangerschafts-bekleidung und Handtaschen sind Errungenschaften der Ära von der Leyen, einer Ära, die der besonderen Natur des Soldatenberufs allerdings in keiner Weise Rechnung trägt, nämlich im Ernstfall als Soldat Leib und Leben zu riskieren. Wo soll das enden, meine Damen und Herren? Denkt man die Maßnahmen konsequent zu Ende, die vermeintlich die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber erhöhen sollen, wäre dies doch ein individuelles Recht auf Kündigung des Dienstverhältnisses im Verteidigungsfall. Wer aber glaubt, auf diese Weise die Bundeswehr leistungsfähig machen zu können, der irrt sich. Was sollte denn den Soldatenberuf attraktiv machen, wenn nicht der Respekt vor dem pflichtbewussten Bürger in Uniform, der für die Gewährleistung der Werte einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bereit ist, sein Leben einzusetzen? (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sind doch Sie und Ihre Fraktion Gegner! Sie wissen doch gar nicht, was das bedeutet! – Herr Hofreiter, Sie haben doch noch nicht einmal eine Kaserne von innen gesehen. (Heiterkeit und Beifall bei der AfD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch mal auf, dieses Wort in den Mund zu nehmen! Was fällt Ihnen ein? Freiheitlich-demokratische Grundordnung: Davon haben Sie keine Ahnung!) Die AfD fordert deshalb eine weitere und neue Trendwende, nämlich die Trendwende Respekt, Herr Hofreiter. Dazu muss sich am Sozialprestige der Soldaten massiv etwas ändern. Das beginnt zum Beispiel im Sozialkun-deunterricht an unseren Schulen, an denen übrigens Jugendoffiziere permanent ausgegrenzt werden, (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) und sollte mit einer objektiven Berichterstattung über die Bundeswehr einhergehen. Heute erzielt doch ein verbeulter Stahlhelm aus dem Zweiten Weltkrieg in irgendeiner Kaserne der Bundeswehr mehr Aufmerksamkeit in den Medien als Einsätze zur Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Krisenregionen. (Beifall bei der AfD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit beweisen Sie schon mal, dass Sie nicht wissen, was die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist!) In den letzten Jahren sind permanent falsche Zeichen gesetzt worden. Die Außendarstellung der Bundeswehr ist kaum noch geeignet, diejenigen für den Dienst in den Streitkräften zu gewinnen, die unser Land braucht. Immer weniger Soldaten lassen sich nach ihrer Dienstzeit als Reservisten gewinnen. Der Dienst als Soldat ist eben kein Job wie jeder andere. Wer unsere Soldaten größten Risiken aussetzt, sollte letztendlich mehr zu bieten haben als Kinderbetreuung und Damenhandtaschen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Bei Ihrem Bundeswehrbashing applaudiert noch nicht mal Ihre eigene Fraktion! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Niveau ist unter den Tisch gekrabbelt!) Soldaten müssen sich mit scheinbar unzeitgemäßen Werten wie Treue, Tapferkeit und Ehre identifizieren können. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Lambsdorff?   Nein. – Wie gesagt, Treue, Tapferkeit und Ehre sind Werte, mit denen sich Soldaten identifizieren können. Diese Werte stehen im Mittelpunkt militärischer Tradition. Aber gemäß dem gerade durch die Ministerin in Kraft gesetzten Traditionserlass soll sich die Bundeswehr hauptsächlich auf ihre eigenen Traditionen seit 1956 stützen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut so! Ja!) Angeblich soll aber trotzdem die gesamte deutsche Geschichte im Blick behalten werden. Damit wird die Traditionspflege in ein enges politisches Korsett gezwängt. Durch Einzelfallentscheidungen soll Traditionswürdiges kenntlich gemacht werden, um für Handlungssicherheit zu sorgen: ein Widerspruch in sich. Letztendlich war es doch das mangelnde Vertrauen in die Truppe, welches zu diesem Neuerlass geführt hat. Einzelfälle wie der des Franco A. wurden als typisch für die Bundeswehr dargestellt. Frau von der Leyen stellte sich aber nicht vor ihre Soldaten, sondern bezichtigte diese pauschal eines Haltungsproblems und allgegenwärtiger Führungsschwäche. Mangelndes Vertrauen führt aber zu einer Einschränkung des Handlungsspielraums der Truppe. Verrechtlichung hat die gerade im militärischen Kontext so wichtige Entscheidungsfreude verdrängt. Administration ersetzt Führung. In der Truppe herrschen zunehmend Verunsicherung und Vertrauensverlust. Unsere Soldaten durch alle Ränge verdienen unseren Respekt, unsere Achtung und vor allem auch unser Vertrauen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Trotz widrigster Bedingungen und nicht selten ohne politische Rückendeckung leisten sie engagiert ihren Dienst. Elan und guter Wille überbrücken dabei häufig Mängel in Ausrüstung und Organisation. Für junge Soldaten ist das ein Ärgernis; Altgediente resignieren. Das sind die Folgen der Politik einer Ministerin, die überall Flagge zeigen will, demnächst auch noch im Irak, obwohl sie weder die Materiallage noch die Personallage in den Griff bekommt, aber ständig von Trendwenden fabuliert. Trotz des Scheiterns verbohrt auf angebliche Erfolge zu verweisen, widerspricht allerdings fundamentalen militärischen Führungsprinzipien. Eigensinn – so der große preußische Militärreformer Carl von Clausewitz – ist kein Fehler des Verstandes, er ist ein Fehler des Gemüts. Diese Unbeugsamkeit des Willens, diese Reizbarkeit gegen fremde Einrede haben ihren Grund nur in einer besonderen Art von Selbstsucht. Meine Damen und Herren, er hätte die heutige Verteidigungsministerin nicht besser beschreiben können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der AfD – Florian Hahn [CDU/ CSU]: Was war denn das?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Graf Lambsdorff. Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Herr Otten, eine Zwischenfrage wollten Sie nicht zulassen. Deshalb mache ich es im Wege der Kurzintervention. Sie haben einige Dinge gesagt, bei denen meine Fraktion sofort mitgehen würde. Dass in der Truppe Werte wie Treue, Tapferkeit und Ehre natürlich eine besondere Rolle spielen, ist völlig unbestritten. Das gilt auch für Kameradschaft und Verlässlichkeit. Auch dass das alles Vertrauen braucht, ist überhaupt kein Problem. Aber die Art und Weise, wie Sie hier argumentieren, indem Sie absurde Behauptungen aufstellen, um die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik insgesamt zu diskreditieren, halte ich für unseriös. Das ist nicht vertrauenswürdig. Daraus spricht auch keine politische Verlässlichkeit. Ich gebe Ihnen ein ganz konkretes Beispiel. Sie haben eben gesagt, dass die Konsequenz der aktuellen Versuche, den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu machen, das Kündigungsrecht im Verteidigungsfall sei. Das ist ein Zitat aus Ihrer Rede. Das können Sie nur sagen, wenn Sie das Grundgesetz vollkommen ignorieren. Artikel 12a unseres Grundgesetzes sagt eindeutig aus, dass im Verteidigungsfall selbstverständlich sämtliche Männer zum Dienst an der Waffe herangezogen werden können. Diejenigen, die aus Gewissensgründen verweigern, können zum Erbringen ziviler Dienstleistungen verpflichtet werden. Mit anderen Worten – das ist die übliche Methodik der AfD –: Sie bauen mit viel Elan einen Strohmann auf und rennen ihn anschließend mit noch mehr Elan um. Das ist keine seriöse Art, die Probleme der Truppe zu diskutieren. Ich fordere Sie auf, solche Debatten in Zukunft orientiert am Grundgesetz und an den Werten, die Sie selber hier angeführt haben, zu führen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Graf Lambsdorff. – Herr Otten, wenn Sie mögen, haben Sie die Möglichkeit, zu antworten, nur wenn Sie wollen, kein Zwang. Gerold Otten (AfD): Herr Graf Lambsdorff, ich glaube, dass ich in meiner Rede deutlich gemacht habe, wo die Problemfelder der Armee sind. Der Versuch, die Bundeswehr mehr oder weniger in Konkurrenz zum zivilen Arbeitsmarkt darzustellen, führt letztendlich zur Konsequenz, dass Personen zur Bundeswehr kommen, die den Beruf des Soldaten als Job sehen und den militärischen Aspekt, was es bedeutet, Soldat zu sein, völlig außer Acht lassen. Aber Letzteres muss wieder in den Vordergrund rücken. Ich hatte auch gesagt, dass wir der Bundeswehr wieder Respekt entgegenbringen und dem Dienst der Soldaten in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert beimessen sollten. Das ist das Entscheidende, worum es geht. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Jetzt beleidigen Sie auch noch die Soldaten!) – Frau Strack-Zimmermann, ich hatte Sie nicht angesprochen. Vielen Dank.